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Annemarie Morgenegg kommt fröhlich und gut gelaunt zum Interview. «Guete Morge Rosmarie», begrüsst sie mich mit ihrem wunderschönen rollenden «R». Seit ich Annemarie kenne, sie auch schon auf der Bühne bewundern konnte, gefällt mir als Glarnerin ihr aristokratisches berndeutsch «R».
Annemarie ist am 25.3.1959 im Zeichen des Widders geboren. Auf dem Ferenberg, unter dem Banntigerturm, ist sie auf einem Bauernhof aufgewachsen. «Früher habe ich viel getan, um das rollende «R» loszuwerden», sagt sie lachend. Nun ist es zu einem Markenzeichen geworden. «Eine Emmentaler Bauersfrau könnte ich nie spielen, weil mein» R» nicht passen würde», meint sie sachlich.
«Vielleicht habe ich einen Knall»
Sie sprudelt und erzählt. Sie gestikuliert mit den Händen und ihre Augen sind wach. Sie trägt ihre Haare in einem speziellen, leuchtenden Rot, das auffällt. «Vielleicht habe ich einen Knall», plaudert sie unbekümmert. «Es ist ein Gefühl von innen, dass meine Haare rot sein müssen, dass ich sie so trage. Der Rot-Ton muss aber genau stimmen und wenn ich mich mal beim Einkaufen bei der Farbe vergreife, dann kann ich fast nicht schlafen und muss am nächsten Tag unbedingt zu meinem Coiffeur rennen. Dieser ist nämlich einer der wenigen, der meine Haarfarbe so hinbringt, wie ich es mir vorstellen. Komisch gell?» Aus ihren Augen blitzt der Schalk. Die Haare von Annemarie sind eine totale Wissenschaft!
«Ich bin verwöhnt und glücklich. Und doch gibt es Momente in meinem Leben, in denen nicht alles super war.»
Annemarie wirkt taff, strahlend, lebendig, will überall ihre Meinung dazu geben. Macht gerne Sprüche und engagiert sich für das, was sie tut. «Ich bin verwöhnt und glücklich. Und doch gibt es Momente in meinem Leben, in denen nicht alles super war.» Sie ist nachdenklich geworden. «Ein Beispiel ist die Geburt meiner Tochter Nina. Nach drei Tagen musste Nina auf die Intensivstation, weil Komplikationen eintraten. Zum Glück ging es dann aber nur noch aufwärts. Während der Kindheit benötigte Nina viele Therapien und dank ihrem starken Willen kann sie heute eine Ausbildung als Hotelkauffrau machen.» Annemarie ist stolz auf ihre Tochter. Man spürt ihre Bewunderung für sie und ihre Leistung.
Annemarie ist eine faszinierende Persönlichkeit, man weiss nie, was als Nächstes kommt. So entschied sie sich 1989 kurzer Hand, nach Kamerun zu reisen. «Ich hatte genug von meinem Büroalltag und so beschloss ich mich etwas zu verändern.»
«Wie bist du zu diesem Engagement in Kamerun gekommen?» frage ich sie.
«Ueli, ein ehemaliger Landwirtschaftslehrling meines Vaters, lebte in Afrika. Der gelernte Landwirt und Pflegefachmann wohnte mit seiner Familie in einem abgelegenen Dorf ohne Komfort, Elektrizität und Kontakt zur Aussenwelt (Handys gab es damals noch nicht) im Norden Kameruns. Nach Recherchen konnte ich die Familie ausfindig machen und kurze Zeit später landete ich in Garoua . In der Weite Afrikas erlebte ich das Gefühl von totaler Freiheit. Klar, auch hier bin ich frei, doch meine Empfindungen damals waren anders, intensiver, schwierig zu erklären. Ich denke gerne an diese Zeit zurück und fühle sie dann sofort wieder – diese Freiheit.»
«Was hast du alles angestellt in dieser Zeit?»
«Ich wollte im Spital mithelfen, aber brauchen konnte man mich nicht.» Sie lacht schallend. «Die schreienden Patienten, die hysterischen Mütter, die kranken Kinder. Ich hatte zu viel Mitleid und mir wurde immer übel. So übernahm ich alle Büroarbeiten - wenigstens Kinder impfen brachte ich zustande.»
«Was waren deine Pläne für die Zukunft?»
«Damals entschloss ich mich ein Afrikalädeli in der Schweiz zu eröffnen. Ich reiste durch ganz Kamerun und kaufte für mein Lädeli ein, mit zwei riesengrossen Hirse-Körben. Kaffee, Pfefferschoten, Schmuck, geflochtene kleinere Körbe. Ich brachte meine beiden Körbe und mein Gepäck nur mühsam in die Schweiz. In Hindelbank, in einem Untergeschoss eines Wohnblocks, eröffnete ich ohne Geld aber mit viel Material und Herzblut mein «Geschäft». Ueli lieferte mir noch Waren nach, von Verzollen hatte ich keine Ahnung. Am Eröffnungstag war mein Umsatz grossartig, denn Freunde, Bekannte, Verwandte kauften ein. Dies war ein einmaliges Erlebnis und auch das einzige Mal, dass ich tatsächlich Geld einnahm. Nach einem halben Jahr schloss ich den Laden wieder. Mit dem restlichen Material ging ich auf den Märit und verkaufte noch zwei, drei Körbli … die letzten 20 Jahre hatte ich dafür immer Mitbringsel auf Vorrat gehabt. Ich weiss nicht wo meine Afrikasachen heute alle stehen.» Wieder lacht sie aus vollem Halse.
«Manchmal muss auch ich akzeptieren, dass ich weltweit nichts beeinflussen kann, auch wenn ich dies noch so gerne möchte.»
Annemarie ist ein politischer Mensch und so kann es schon geschehen, dass sie nicht mehr zu Besuch eingeladen wird, weil sie ab und zu übers Ziel hinaus schiesst. Sie vertritt ihre Meinung klar, wenn dies andern auch nicht immer passt. «Manchmal muss auch ich akzeptieren, dass ich weltweit nichts beeinflussen kann, auch wenn ich dies noch so gerne möchte. Klar, im Kleinen kann ich schon mal etwas verändern. Gegen die schlechten Nachrichten im Weltgeschehen muss ich mich schützen, indem ich keine Tagesschau mehr angucke. Die Bilder machen mich traurig und mir wird das oft zu viel.»
«Wieso spielst du Theater?», wechsle ich das Thema.
«Und wo hast du Livia Ann Richard kennengelernt?»
«Im 2001 lernte ich Livia kennen bei der Inszenierung «Die Nashörner» von Eugène Ionescou. Ich spielte die «Daisy» und Livia führte Regie. Im Sommer 2002 habe ich beim Freilichttheater Gurten das erst Mal mitgespielt. Damals arbeitete ich hauptamtlich bei Lart, die Sketchfabrik, und beim Theater Gurten. Beim Theater Matte war ich von Beginn an mit dabei. als Schauspielerin und als administrative Leiterin. Zudem bin ich auch «Mädchen für alles», wir sind alles Generalisten, beim Theater.
«Jetzt seid ihr mit Erfolg in die dritte Saison gestartet. Wie finanziert ihr euch?»
«Bis heute sind wir knapp über die Runden gekommen dank unseren Sponsoren. Auch in Zukunft sind wir auf Gönner und Sponsoren angewiese. Vielleicht bekommen wir in Zukunft auch etwas von «Subventionskuchen» der Stadt und des Kanton Bern – ich hoffe es innigst.» «Verdient hättet ihr es», wende ich ein.
«Puck ist unser Theaterhund und ist überall dabei.»
Puck lag seit beginn unseres Gespräches brav unter dem Tisch, während Annemarie und ich zusammen sprachen. «Puck ist unser Theaterhund und ist überall dabei.» Sogar Livia, die Hunde überhaupt nicht Mögende, liebt Puck mittlerweilen. Puck ist ein Unikum und über ihn könnte man Bücher schreiben. Annemarie musste ihn schon im Tierheim oder auf dem Polizeiposten abholen. «Zum Glück habe ich ihn immer wieder gefunden», lacht sie.
Zum Schluss unseres Gespräches gehen wir zum obligaten Fototermin. Wir marschieren zum Laden hinaus, um auf der Münsterplattform zu fotografieren. Liftabi vergessen, beide haben wir das Libero und beide haben wir es nicht dabei. Glücklicherweise ist Thomas Streit so nett, dass er uns auch so mitgenommen hat …
Die Zeit mit Annemarie verging wie im Fluge und das Gespräch hallte noch lange nach. Herzlichen Dank für das humorvolle und lebendige Gespräch.