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Die Kummerbuben haben kürzlich in der Matte einen Videoclip gedreht. Als Rosmarie Bernasconi das Video gesehen hat, fand sie: «Ziemlich abgefahren» (Ich hoffe, sie habe es positiv gemeint). Rosmarie hat mich darauf gebeten, ein paar Worte über die Kummerbuben zu schreiben, da ich der Sänger der Band bin und selber in der Matte wohne. Was ich hier gerne tue. Denn ich finde, dass die Kummerbuben auch bisschen was mit der Matte zu tun haben – und auch deshalb haben wir unser Video hier unten gedreht.
Vielleicht habt ihr ja schon mal von den Kummerbuben gehört.
Für die, die noch nie davon gehört haben: Kummerbuben sind eine Band aus Bern und graben alte Schweizer Volkslieder aus. Und zwar nicht die hundskommunen, sondern dunkle, melancholische, frivole Lumpenlieder. Es sind Lieder, die auf der Strasse gesungen wurden und die Realität wohl manchmal etwas besser abbilden, als die patriotischen Schönfärberhymnen, die sich in vielen Liedersammlungen finden. Wir übernehmen diese Lieder nicht 1:1, sondern machen daraus unsere eigene Musik, komponieren die Melodien meist selbst.
Es gibt alte Lieder, auf denen man zuerst ein bisschen rumhämmern, die man zuerst aus dem Fenster schmeissen muss – und plötzlich gefallen sie einem wieder. Andere kann man in ihrer Schönheit belassen. Aus unserer Auseinandersetzung mit dem Volksgut sind inzwischen zwei hübsche Cds entstanden: «Liebi und anderi Verbräche» (2007) heisst die erste, «Schattehang» (2009) die zweite. Natürlich sind wir nicht die ersten, die sich mit altem Liedgut beschäftigen. Es gibt Musiker, die dies seit Jahrzehnten tun – und vor denen wir grössten Respekt haben. Zwei davon wohnen nur grad paar Meter von mir entfernt, Ruth und Res Margot. Eine andere pflanzt hier unten ihre Zucchettis, Christine Lauterburg. Was an den Kummerbuben aber wohl anders ist: Wir haben die Volkslieder in die verrauchten Rockclubs gebracht. Das ergibt manchmal schon lustige Szenen: Wenn man etwa «Es wott es Froueli z Märit gha» in einer Spunte in Hamburg vor vierhundert euphorisierten Deutschen spielt, die im Refrain versuchen berndeutsch mitzusingen.
Aber zurück zur Matte. Auf unseren ersten Scheibe gibt es zum Beispiel den Song «Gäntu». Ein «Gäntu» ist ein Vagant. Das Wort stammt aus dem Matte-Berndeutschen. Man kann sagen, dass wir das Lied eingebernert haben. Wir haben nämlich getan, was wir oft machen: Wir haben dem Lied einen Refrain geschrieben. Unser Umgang mit den Texten ist häufig so frei: Wir lassen Strophen weg, schreiben die Texte um. Wir finden, dass wir das dürfen, ohne respektlos gegenüber dem Kulturerbe zu sein. Denn schon immer wurden Volkslieder umgedichtet, über andere Melodien gesungen. Ein gutes Beispiel ist das Lied «‹S isch mer alles eis Ding», das in verschiedenen Kantonen verschiedene Strophen aufweist (die frivolsten stammen aus dem Appenzell).
Beim «Gäntu» handelt es sich nämlich um ein uraltes Lied aus Deutschland: Der Text basiert auf einem der populärsten Volkslieder aus dem 16.Jahrhundert: dem «Schlemmer», einem Lied über einen sorglosen Herumstreuner. Der «Gäntu» will sein Leben nicht den gängigen Konventionen anpassen. Er legt keine Ersparnisse an, sondern investiert sein Geld lieber in Wein und Weib. Als Matte-Bewohner dünkt mich, dass mir hier unten auch hie und da ein «Gäntu» über den Weg läuft. Ohnehin ist die Dichte an schrägen Vögeln und anderen neurotischen Lebewesen in der Matte relativ hoch – ähnlich hoch wie in unseren Liedern. Die Matte ist auch daher ein inspirierender Flecken Erde, dünkt mich. Zwei schillerende Exemplare aus der Matte kommen übrigens auch in unserem Videoclip vor.
Inspirierend ist natürlich auch die Aare.
Ein Fluss ist ohnehin eine wunderbare Metapher auf die Vergänglichkeit. Ohne die Aare wäre Bern eine andere Stadt, gäbe es kein Mattenquartier, und freilich fehlt sie auch nicht in unserem Repertoire. Der Song heisst «I dr Aare», ausnahmsweise basiert er nicht auf einem alten Volkslied, den Text habe ich selbst geschrieben – und zwar um einen Textzeile, die aus dem superben Dällenbach-Film von Kurt Früh stammt. Dort ruft der Clochard dem Kari hinterher: «I dr Aare, i dr Aare, dört isch mys Grab». Es ist dies freilich eine Ankündigung auf das himmeltraurige Ende von Kari. Um diesen Satz herum habe ich eine Geschichte geschrieben von einem, der auf dem Grund der Aare liegt und von dort aus den Himmel anschaut, an dem all die Geigen hängen, auf denen er es vergeigt hat.
Die Matte ist aber auch ein Ort der Geschichte. Vor zweihundert Jahren war sie etwa Schauplatz des Stecklikrieges. Das Einschussloch ist an der Matteenge ja noch immer zu sehen. Ein Krieg, der mit sympathisch wenig Lust am Kriegen geführt wurde. Viele der Soldaten, die gegen die helvetische Regierung opponierten, waren nur mit Sensen und eben Stöcken unterwegs, daher der Name. Tote gab es auch nur eine Handvoll. Patriotismustrunkene Historiker wollten aus dieser Episode dann einen nationalen Aufstand zaubern. Ein Spottlied, das ein Bieler Pfarrer geschrieben haben soll, zeigt aber, dass die Realität wohl weit weniger heldenhaft war. Im Lied sind die Aufständischen ein lächerliches Trüppchen, das nur mit Instrumenten bewaffnet ist und sich gegenseitig dezimiert – ohne je einen Franzosen zu Gesicht zu bekommen.
Simon Jäggi
Das Videoclip zum Lied «Lügemärli», das in der Matte gedreht wurde, kann man auf Youtube ansehen – Stichwort Kummerbuben und Lügemärli eingeben. Cds der Kummerbuben gibt es unter anderem bei Chop Records, Amtshausgasse 22, Bern. www.kummerbuben.com