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20 + 2 = 22. Eine Rechnung, die das Leben schrieb.
20 Jahre: Leben in der Matte
Im Jahrhundertsommer 2003 ging es los. Vor 20 Jahren. Mit Sack und Pack zogen wir ein. In die Matte. An die Schifflaube. In unser neu renoviertes Haus (ja, damals war kaufen noch bezahlbar). Noch ein wenig Baustelle. Ein wenig staubig. Egal. Hauptsache da. Mein Leben, meine Geschichte in der Matte begann.
Die ersten zwei Jahre: unspektakulär. Einwohnen. Alles ein wenig fremd. Ich war fremd. Arbeitete in der Innenstadt. Das soziale Leben fand ausserhalb statt. Ich wohnte hier. Nicht mehr. Nicht weniger. Noch.
Alles änderte sich im August 2005. Zweifach. Ja, natürlich das Hochwasser. So schlimm der materielle Schaden war, bezüglich meines sozialen Ankommens im Quartier war es ein «Glücksfall». Das gemeinsame Erleben der Wasser-Tage, das Schlamm-Putzen, die Renovationen, die persönlichen Geschichten. Krisen verbinden. Plötzlich war ich in der Matte angekommen.
Wichtiger, fürs Leben in der Matte nachhaltiger, war das zweite Ereignis im August 2005. Die Geburt vonJulia. Das soziale Umfeld veränderte sich radikal. Wir trafen andere Eltern in der Kita, im Kindergarten, auf dem Längmuur, auf dem Sportplatz, in der Schule. Freundschaften, das soziale Matte-Netz entstand. Treffen, Quartier-Anlässe, zufällige Diskussionen, Vereinsarbeit, Aare-Schwimmen, Essen gehen, seit diesem Jahr gärtnern. Langsam, aber stetig entstanden meine Matte-Wurzeln.
2 Jahre: Arbeit in der Matte
Seit 2 Jahren bin ich nicht nur Matte-Lebender, sondern auch Matte-Arbeiter. Sozusagen «Fulltime-Mätteler» (dazu später mehr). Wie es dazu kam? Selbstständig seit knapp 5 Jahren, vorwiegend mit Denkarbeit beschäftigt. Ich brauche Laptop, Handy und einen Arbeitsplatz. Nach 3 Jahren «auswärts» arbeiten in einer Bürogemeinschaft bemerkte ich, dass ich mir den Arbeitsweg sparen kann: Ich bin entweder bei Kunden in Online-Meetings oder muss konzentriert arbeiten. «Home-Office», das Zauberwort.
Das Gute liegt so nah. Man muss es nur sehen. Im Herbst 2021 sah ich es. Das kleine Ladenlokal in unserem Haus ist das perfekte Büro für mich. Neu streichen, Glasfaser einziehen, die Büromöbel zügeln. Und los gehts. Das Office im Home. Separat von der Wohnung. Eigener Eingang. Nur 30 Sekunden vom Küchentisch entfernt. Perfekt. Wobei, eines war ungewohnt. Ladenlokal heisst Einblick und Passanten-Nähe. Ich bin sichtbar von der Laube aus, wenn ich arbeite. Öffentlicher und Arbeitsraum verfliessen. Zu Beginn war es speziell. Das «An-die-Scheibe-klopfen-oder-winken» von euch. Arbeiten unter Beobachtung, sozusagen. Doch der Neuigkeits-Faktor nahm schnell ab. Heute heben wir gegenseitig routiniert die Hand zum Gruss, nur noch ab und zu schaut ein Tourist länger rein.
Gerne nutze ich diese Bühne, um ein eventuelles Missverständnis aufzuklären. Da Männer bekanntlich nicht Multitasking-fähig sind, sehe ich nicht immer, wenn ihr winkt. Insbesondere, wenn ich an Online-Meetings teilnehme. Was ich fast immer tue. Es ist nicht schlechter Wille. Sondern Natur-geschuldet.
22 Jahre: Genug, um «Mätteler» zu sein?
Die Mutter aller Fragen, die alle Matte-Zugezogenen irgendwann umtreibt: Wann ist man ein «Mätteler»? Reichen «meine» 20+2 Jahre? Ich sage:
Ja. Und weiss zugleich, dass dies Widerspruch auslöst. Weil: Ein «Mätteler» ist nur, wer hier geboren wurde. Ich wage die vorsichtige Replik: Es geht nicht um Geburt, sondern wie man sich fühlt. Wenn ich unten an der Matte-Treppe ankomme. Den Nydeggstalden runterfahre oder die Untertorbrücke überpedale. Auf dem Weg an die Schifflaube Menschen begegne, die ich kenne. Ein paar Worte wechseln, wir uns grüssen. Es ist immer ein Heimkommen. Ins Matte-Leben. Als «Mätteler».
Thierry Kneissler