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Bild Nicole Stadelmann
Michael Stoffel empfängt uns hoch oben im vierten Stock zum Mattegucker-Interview, Annemarie, seine Frau, gesellt sich zu uns an den Tisch. Es gibt Kaffee und feine Mandelbärli.
Bereits seit 1984 sind Michael und Annemarie verheiratet, zwei erwachsene Kinder, Marina 35 und Miro, 31 sind dazugekommen. Bald werden sie zum erste Mal stolze Grosseltern. Michael Stoffel wurde am 20.09.1957 in Liestal geboren. Schon zwei Monate später zog die Familie weiter nach Deutschland, später dann wieder zurück in die Schweiz. Heute ist Michael Prof. emeritus Dr. med. vet., seit dem 1.1.2022 pensioniert. «Gibt es etwas, aus deinem Berufsleben, dass du vermisst?», will ich wissen. «Was ich ein bisschen vermisse, sind die Kontakte zu den Studierenden. Ansonsten vermisse ich nicht wirklich viel, also das Administrative und Fakultätspolitische habe ich gerne losgelassen. Seit der Pensionierung habe ich mehr Zeit, soziale Kontakte zu pflegen, zu kochen ...» «Du kochst?» wende ich erstaunt ein. «Mit Annemarie zusammen koche ich gerne. Er schaut seine Frau liebevoll an. Die beiden sind ein eingespieltes Team, nicht nur in der Küche.
Michael hat mit viel Herzblut ein Lehrbuch und Nachschlagewerk geschaffen, auf das er zurecht stolz ist. «Funktionelle Neuroanatomie für die Tiermedizin».
«Die Neurologie hat sich auch in der Tiermedizin dramatisch entwickelt, und dadurch hat die Neuroanatomie erheblich an Bedeutung gewonnen. Es gab jedoch kein vernünftiges Lehrmittel. In den frühen 90er-Jahren habe ich die Vorlesung zu diesem Thema übernommen und daraus entwickelte sich über die Jahre dieses Lehrbuch und Nachschlagewerk. 2011 erschien die erste Ausgabe. Kurz vor meiner Pensionierung wurde die zweite überarbeite Auflage gedruckt. Ich habe auch alle Abbildungen im Buch gezeichnet und vorbereitet, die dann von einem Grafiker umgesetzt wurden. Das war ein besonders schönes Projekt und, dass diese Publikation weiterhin als Nachschlagewerk benutztwird, freut mich sehr. Das Werk wird nun ins Englische übersetzt und soll bald erscheinen.»
Annemarie hat uns das Exemplar zwischenzeitlich auf den Tisch gelegt. «Ich verstehe es nicht mal auf Deutsch», grinst Nicole. Ich kann es nur bestätigen.
«Machst du schon lange Musik?», wechsle ich das Thema.
«In der Familie hatte dies einen grossen Stellenwert, denn meine Mutter war Klavierlehrerin und auch mein Vater war musikalisch. Ich bin mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Nach dem ersten Blockflötenunterricht durfte ich wie alle meine Geschwister ein Instrument wählen, das ich spielen wollte. Mit 8 Jahren begann ich also mit der Geige und später kam die Bratsche hinzu.» «Was ist die Faszination an der klassischen Musik?»
«Musik ist ein Teil meines Lebens und ich kann es mir ohne gar nicht vorstellen. Musik ist schwierig in Worte zu fassen, sie beginnt ja dort, wo die Sprache endet. Musik ist sinnlich, transzendent, umfassend, emotional, seelisch wichtig, hat gleichzeitig eine intellektuelle Seite, weist über sich selbst hinaus in eine Tiefendimension, berührt Urmenschliches und ist damit weit mehr als blosse physikalische Schwingungen. Musik ist ganzheitlich, auch der Aspekt der Schönheit ist darin enthalten. Musik beinhaltet auch rationale und humorvolle Seiten. So gibt es gewisse Regeln und Gesetzmässigkeiten, und trotzdem hat alles Platz. Sämtliche Emotionen gehören dazu. Musik hat etwas Flüchtiges, ist vergänglich und eine Herausforderung ...» Ich höre Michael gerne zu, wenn er über die Qualitäten der Musik spricht.
«Welches Instrument magst du besonders?»
«Den Zink. Er ist ein altes Blasinstrument. Dieses wird im Prinzip wie eine Trompete geblasen, das heisst, der Ton wird in einem Kesselmundstück – in der Regel aus Holz, Horn, Messing oder Elfenbein – mit den Lippen erzeugt.»
Michaels Interessen reichen weiter, so absolvierte er eine Ausbildung zum Dirigenten. «Hans Gafner, der bekannte Chor- und Orchesterleiter aus Münsingen, war mein Lehrmeister und Mentor unter seiner Anleitung durfte ich zu meinem 50. Geburtstag 2007 das Handwerk des Dirigierens erlernen, wobei Freunde den Chor und das Orchester bildeten. Ich bin aber Laiendirigent», sagt er bescheiden.
«Was gefällt dir am Dirigieren?» Die Möglichkeit, Musik zu gestalten, eigene Vorstellungen von Werken, die mir wichtig sind, umzusetzen. Michael erklärt uns, dass sämtliche Noten vom ganzen Orchester in einer Partitur zusammengefasst sein müssen, damit er weiss, wann und wo die Musikerinnen und Musiker ihren Einsatz haben. Er zeigt es Nicole und mir an einem Bespiel. Ich sehe nur rot und viele Noten, dass alles zusammen stimmen muss, kann ich mir gut vorstellen. Für Michael ist das Leidenschaft und Freude an der Musik. Wenn Michael über das Dirigieren spricht, leuchten seine Augen. Seit 2007 gibt es einmal pro Jahr ein Konzertprojekt. Das erste Konzert trug den Titel «Tu vois ce que j’entends?»
und wurde am 21.9.2007 im Johannes-Zentrum in Bremgarten aufgeführt.
«Was motiviert dich, einmal pro Jahr ein solches Projekt auf die Beine zu stellen?» «Die Freude an der Musik, gemeinsam etwas zu schaffen. Die ganze Familie ist mit dabei, Annemarie spielt Bratsche, Miro Orgel und Cembalo, Marina Geige. Viele Freundinnen und Freunde machen mit und dann sind auch Gastmusikerinnen und -musiker, die uns unterstützen, mit dabei.
«Nach welchen Kriterien stellst du das Ensemble zusammen?» «Das sind Leute, die gerne musizieren und mit Begeisterung und Leidenschaft Musik spielen, die bereit sind, sich auf das Projekt einzulassen. Wir haben auch Profis im Ensemble, die die Probenarbeit mittragen. Manchmal ist es allerdings ganz gut, wenn die Profis bei frühen Proben noch nicht anwesend sind, damit sich die «Laien» nicht aus der Verantwortung stehlen können und sie sich auch mehr zutrauen.»
«Ist es auch eine Option für dich, selber zu komponieren?»
«Nein, das überlasse ich andern», sagt er ganz spontan und lächelt.
«Du wohnst seit 2012 mit Annemarie hier in der Matte. Was hat dich in die Matte gezogen? Und fühlst du dich wohl hier unten? Was macht für dich den Reiz der Matte aus?»
«Als Marina und Miro ausgezogen sind, war dies für uns auch ein Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Das Haus haben wir an eine Familie mit Kindern verkauft, und wir haben in der Nähe der 12er Buslinie etwas gesucht.» Er schaut mich schelmisch an.
«Mir gefällt es sehr hier unten, dass man sich wahrnimmt, man sich grüsst. Beim Mattelift mit den Liftboys ein paar Worte wechseln kann. Wir haben kein Auto und so ist es gäbig, dass man alles in Gehdistanz erledigen kann. Es ist städtebaulich ein schönes Quartier. Von der Bevölkerung her gut durchmischt. Handwerker, Gewerbe, Beizen, Familien, Kinder.
Die Zeit rinnt uns unter den Fingern weg. Annemarie ist bereits wieder unterwegs. Nicole hat den besten Winkel für die Fotos gefunden. Vielen herzlichen Dank, dass ich mit dir, lieber Michael einen Blick in deine Welt und in die Welt der Musik werfen durfte.
Text: Rosmarie Bernasconi Bilder: Nicole Stadelmann
«Das Jahresprojekt zum Thema Renaissance findet am 18. November 2023 in der Nydeggkirche statt. Mit Zink, Posaunen, Kontrabass, Chor.
Am 26. Mai 2024 haben wir zudem ein Engagement in der Reihe KulturKehrsatz und sind eingeladen mit unserem «Ensemble fugitif» und der Solistin Irene Benito, Violine.»