Grossfamilie am Stubentisch (Bild Nicole Stadelmann)

Was als Erstes auffällt ist das grosse Schuhgestell vor der Türe, das weist tatsächlich auf eine grosse Familie hin. Schön, für einmal bei einer Familie mit vier Kindern in der Matte zu Besuch zu sein – ich kenne aus eigener Jugenderinnerung die Dynamik eines grossen Haushalts. Nicole und ich werden auch hier herzlich empfangen.
Julia, die gelernte Dekorationsgestalterin und Illustratorin, die im Thurgau und in Teufen aufgewachsen ist und Alain, der Jurist aus Basel, kennen sich seit 2004, seither sind die beiden ein Paar. Mit drei von vier Kindern leben sie seit 2017 wieder in der Matte. Elea, die jüngste Tochter, wurde 2019 in Bern geboren. Doch bevor ich das Gespräch mit den «Grossen» beginnen kann, wollen mir die Kinder unbedingt einige Fragen beantworten.
Pommes naschend geben mir Jorel (9), Janic (8) und Anine (6) Auskunft über ihr Kinderleben in der Matte. «Was sind eure Lieblingsplätze hier in der Matte und was gefällt euch hier?», will ich wissen. «In der Matte gefällt mir die Vielfalt und die vielen Kinder, die in der Matte leben und wir können draussen spielen und müssen nicht immer auf die Autos aufpassen», erzählt Jorel, der Älteste.
«Der Sportplatz gefällt mir», erwidert sein Bruder Janic. «Ich bin aber froh, wenn der provisorische Schulcontainer weg ist.»
«Hier gehe ich in den Kindergarten», mischt sich Anine ein. «Und mein Lieblingsplatz ist beim Wöschhüsi beim
Brunnen.»
«Der Mattebach ist cool», sagt Jorel kauend. «Hier machen wir Wasserschlachten und das finden wir lustig und auf dem Mühlenplatz spielen wir unter dem Chegelebaum.»
«Wo seid ihr nicht so gerne?» «In der Stadt oben bin ich nicht so gerne, denn es hat so viele Leute und Autos», sagt Janic.
Der Sportplatz scheint für die Kids besonders wichtig, denn hier treffen sie sich mit ihren Freundinnen und Freunden. Die ganze Mattegang ist untereinander gut vernetzt. Wie ich von Julia erfahre, führen einige der Familien einen Chat, in welchem sie sich rasch austauschen können und so wissen, wo ihre Kinder gerade zu finden sind.

«An der Wasserwerkgasse beim Känzeli, das mag ich nicht», sagt mir Jorel.

Das Gespräch mit den Kindern ist lebendig und immer wieder verlässt der eine oder andere die Gesprächsrunde und kommt bald wieder zurück. Die Pommes sind vertilgt. Inzwischen hat sich Nicole mit ihrer Gerätschaft positioniert, nun dreht sich alles darum, die ganze Familie aufs Bild zu bekommen. Julia ist eine charmante und gelassene Dompteuse und bringt alle zusammen an den grossen Tisch. Alle beginnen mit zeichnen. Es ist ein fröhliches Spiel: der erste zeichnet den Kopf, der nächste muss, ohne zu wissen, wie der Kopf aussieht, den Rumpf anhängen und die letzte hängt dann noch die Beine an. Die ganze auseinandergefaltete Zeichnung ergibt witzige Bilder – am liebsten hätte ich selber gleich mitgemacht. So sind alle vertieft ins Zeichnen, so dass Nicole in aller Ruhe ihre Fotos schiessen kann.
Mit Jorel und Janic zogen Julia und Alain um, aus dem buddhistischen Zentrum an der Gerberngasse 14 nach Thun, um dann nach rund zwei Jahren wieder in die Matte zurückzukehren. «Wir wohnten am See, hatten einen grossen Garten und trotzdem war es nicht das, was wir uns vorgestellt hatten», erzählt Julia. Anine wurde in Thun geboren. «Als wir uns entschieden haben, wieder zurück in die Matte zu kommen – zack – und diese passende Vierzimmer-Wohnung war da und genau vis-a-vis vom buddhistischen Zentrum, was für uns wirklich wie ein Heimkommen war», sagen Julia und Alain lachend. Beide sind mit dem buddhistischen Zentrum stark verbunden.

«Und, wie ist es mit einer kinderreichen Familie hier unten zu wohnen?»

«Es ist für uns wie ein Dorf in der Stadt. Hier unten kann man tatsächlich gut mit vier Kindern leben. Wir haben nicht weit in den Dählhölzliwald oder in den Tierpark oder auf die Pläfe. Es ist schön, die Leute im Quartier und in den Läden zu kennen, auch die Kinder sind mit ihnen verbunden und aufgehoben.» Während Julia erzählt, macht sich die Jüngste, Elea, lautstark bemerkbar. Ich bewundere sie, wie sie auf ihrem Kinderstuhl herumturnt, ohne herunterzufallen. Doch Julia und Alain behalten sie im Auge und lassen sie gewähren. Elea fordert nun ihre Aufmerksamkeit ein. «Elea ist als Frühgeburt und blind geboren und musste zuerst zwei Monate im Spital bleiben, bevor wir sie dann endlich nach Hause nehmen durften. Wir hatten glücklicherweise Unterstützung von der Spitex, die uns sehr behilflich waren. Tja, und dann kam die Coronazeit. Alain «durfte» als Einziger ins Büro zur Arbeit. Homeoffice wäre unvorstellbar gewesen, mit vier Kindern zu Hause. Und mit Elea, die viel Betreuung brauchte. Nein, es wäre wirklich nicht gegangen», sagt Alain ernst. «Die Coronazeit war für uns aber auch gut, weil ich genügend Zeit für alle vier Kinde hatte», lächelt Julia.
«Habt ihr dazwischen auch Paarzeit gefunden», will ich wissen.
«Wenn wir als Familie einen Ausflug machen, ist Alain immer bis oben auf mit Material bepackt, was man eben alles braucht wenn man mit Kindern in den Wald geht. In der Natur tauchen sie ab und geniessen das Draussensein und die gemeinsamen Abenteuer. Dann haben Alain und ich genug Zeit für Gespräche. Wir mögen den Münsinger Wald oder reisen oft ins Berner Oberland, an die Kander. Es gibt viele schöne Wälder und Plätze», sagen beide gleichzeitig. «Die Coronazeit war auch Schutz für uns alle. Wir hatten viel Zeit, um uns aneinander zu gewöhnen. Die andern drei Kinder haben Elea gut aufgenommen und gehen sehr fürsorglich mit ihr um.»

«Julia, hast du noch Zeit, um kreative Projekte in Angriff zu nehmen?»

«Aktuell werde ich immer mehr gefordert, besonders seit Elea läuft. Die drei andern Kinder verlangen ebenfalls mehr Aufmerksamkeit. Jorel musste als Ältester immer wieder zurückstehen, jetzt habe ich für ihn wieder mehr Zeit. Vier Kinder sind schon eine grosse Verantwortung, deshalb habe ich mich entschieden, für die Kinder da zu sein», sagt Julia bestimmt.
Alain arbeitet bei der Mobiliar, als Jurist, erst kürzlich hat er seinen Job gewechselt. Er wollte einerseits etwas Neues beginnen. Zudem ist es wichtig, öfter bei den Kindern zu sein. «Ich arbeite 90% damit ich auch Julia etwas entlasten kann.» Alain ist der ruhende Pol in dieser Gemeinschaft und ich erlebe ihn wie auch Julia sehr fürsorglich.
«In der Stadt und in der Matte zu wohnen ist Luxus und klar, die Wohnung ist relativ teuer. Dafür schränken wir uns an andern Orten ein und gehen nicht in die Ferien. Es ist Alain, der im Moment das Geld nach Hause bringt, aber man kann nicht behaupten, dass ich nicht arbeite – denn mit vier Kindern gibt es genügend zu tun», lacht Julia. «Wenn die Kinder grösser sind, werde ich gerne wieder Auftragsarbeiten annehmen», sagt Julia zum Schluss und Alain nickt zustimmend.
Inzwischen ist auch Elea in ihr Reich verschwunden und die andern drei sind nochmals nach draussen spielen gegangen. «Mami, darf ich bis halb neun draussen bleiben?», fragt Janic. «Nein du bist um 20.00 wieder da!», bleibt Julia klar.
Noch bevor die Kinder zurückkommen, verabschiede ich mich von Julia und Alain und bestaune nochmals die vielen Schuhe vor der Türe, bevor ich beschwingt durch die Matte nach Hause schlendere. Vielen herzlichen Dank für das schöne uns warmherzige, lebendige Interview und herzlichen Dank, dass ich einen Blick in die Grossfamilie Blum-Carabain werfen durfte.

Text: Rosmarie Bernasconi, Bild: Nicole Stadelmann