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Lisbeth und Toni Muhmenthaler wurden beide in diesem Jahr 80 Jahre alt. Sie am 7. August, im Zeichen des Löwen und Toni am 22. November, im Zeichen des Skorpions. Eine ideale Verbindung, finde ich und bin gespannt auf so viel Lebensgeschichte.
Mit dem Lift fahre ich in den zweiten Stock und werde von den Beiden herzlich begrüsst. Ich fühle mich sofort wohl in der lichtdurchfluteten Wohnung, gerade über der Matte-Post. Was mir zuerst auffällt, ist der Flügel im Wohnzimmer und der lange Ovaltisch. Wir setzen uns gemütlich an diesen Tisch und beginnen mit unserem Gespräch. Es ist tatsächlich nicht einfach, den richtigen Einstieg zu finden, denn Lisbeth und Toni sind aktive Menschen und haben viel erlebt. Ihnen und ihrem reichhaltigen Leben gerecht zu werden, ist in einem kurzen Interview kaum möglich. Wir könnten ein Buch füllen über all die musikalischen und beruflichen Reisen, über ihr Leben. Toni hätte gerne mehr aus seiner musikalischen Vergangenheit beigesteuert – darauf werde ich zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zurückkommen – im Zentrum stehen heute die 80. Geburtstage und natürlich die Matte, wie immer.
«Ich vermisse es schon, nicht mehr so beweglich zu sein», meint Lisbeth. «Weisst du mit 80 muss man mit seinen Kräfte einteilen. Ich hätte mir früher nie träumen lassen, dass ich während dem Kochen ab und zu eine Pause einlegen muss. Oder nicht mehr einen ganze Korb voll Wäsche auf ein Mal bügeln kann.» Dies sagt sie nicht etwa verbittert. Es ist eine Feststellung. Sie strahlt Ruhe und Herzlichkeit aus, auch wenn ihr Rücken nicht mehr so will, wie sie es gerne hätte. Während sie spricht schaut Toni sie liebevoll an. Ich habe den Eindruck, dass hier ein Paar sitzt, das mit sich und dem Leben im reinen ist. Ein Paar, das sich gegenseitig schätzt, sich genügend Raum lässt und achtsam miteinander umgeht.
«Man soll jeden Tag geniessen. Ich möchte tatsächlich nicht einfach «jammern». Ich habe mich mit Zen beschäftigt, da gibt es keine Neben- oder Hauptsache. Wichtig ist, was gerade ist. Ich denke, dass es auch im Alter darum geht die Balance zu finden, zwischen dem «Schönen» und auch dem «Lästigen», meint Toni. «Es geht doch darum, das Leben lebenswert zu finden.»
«Es ist für uns beide schön, jeden Tag aufstehen zu können, zusammen zu reden, Gespräche sind ein zentraler Punkt in unserem Leben. Jeden Abend sitzen wir hier an diesem Tisch und trinken einen Cognac und lassen den Tag ausklingen, bevor wir ins Bett gehen. «Lisbeth wirft Toni einen vertrauten Blick zu.
«Was schätzt du an
Toni?», will ich wissen.
Lisbeth muss nicht lange überlegen «Toni ist die Verlässlichkeit in Person. Er ist immer bereit für ein Gespräch und er kann hervorragend auf mich und andere Menschen eingehen.» Toni ist gerührt. «Die Qualität unserer Beziehung ist es, bei Schwierigkeiten nach Lösungen zu suchen und diese auch zu finden. Das war schon immer so, seit Beginn unserer Beziehung. Wir kennen uns ja bereits seit 64 Jahren und davon sind wir seit 57 verheiratet. Eine lange Zeit», sinniert Lisbeth.
«Früher war es Verliebtheit, dann wurde es Liebe und jetzt ist es zusätzlich eine tiefe Freundschaft geworden, eine Verbundenheit, die man nach so langer Zeit des Zusammenlebens spüren darf», ergänzt Toni.
«Und was schätzt du an Lisbeth?»,
frage ich Toni.
Er überlegt einen Moment. «Ich wusste, dass Lisbeth die Frau meines Lebens sein wird als ich sie das erste Mal an einem «Semer-Ball» getroffen habe. Ich ging in Hofwyl bei Münchenbuchsee in das Lehrerseminar. Und Lisbeth ging in Thun ins Lehrerinnenseminar. Unsere Beziehung begann ganz sachte. Wir schrieben uns Briefe, so schnell ging es dann doch nicht. Aber ich wusste, dass aus uns etwas werden würde», erzählt Toni schmunzelnd. «Ja genau, auf blauem Papier schrieben wir, das weiss ich noch ganz genau», wirft Lisbeth lachend ein.
Lisbeth und Toni verbinden drei erwachsene Söhne und vier Enkelkinder. Weiteres verbindendes Element ist die Musik. «Musik war und ist immer unser Leben gewesen», bestätigen sie. Beide haben gerne unterrichtet, Lisbeth, die ausgebildete Lehrerin, Musikpädagogin und Supervisorin fühlte sich wohl in ihrem Beruf. «Wissen weiter zu geben, Menschen zu begleiten auch mal in schwierigen Situationen da zu sein, das mochte ich gerne. Als Supervisorin war es mir auch möglich, noch näher bei den Leuten zu sein.»
Toni studierte an der Musikhochschule in Stuttgart und widmete sein Leben ganz der Musik. Er war Lehrer, Musiker und Dirigent, er dirigierte mehr als 20 Jahre das Berner Medizinorchester. Die Liste dessen, was sie beide in ihrem Leben beruflich alles geleistet haben, scheint mir unendlich. Beide blicken auf eine erfüllte und erfolgreiche berufliche Vergangenheit zurück. Toni ist erblich vorbelastet. Seine Mutter war Pianistin, so bekam er die Musik in die Wiege gelegt. Klavier und Geige gehörten zu seinen bevorzugten Instrumenten. Über 35 Jahre wirkte er als Musiklehrer am Seminar Lerbermatt und arbeitete zudem an der Pädagogische Hochschule Bern.
Nun kommen wir wieder in die Matte zurück. Toni und Lisbeth wohnen seit 1992 in der Matte. Lisbeth: «Die Wohnung war ausgeschrieben und wir haben das Inserat zufällig gesehen. Als wir das erste Mal hier hereinkamen, wussten wir, dass dies unsere Wohnung ist. Wir haben allerdings nicht speziell in der Matte gesucht. Es hätte auch im Länggassquartier sein können oder anderswo in der Stadt. Jahrelang lebten wir in Wohlen in einem eigenen Haus. Als allerdings unsere Kinder erwachsen waren, wurde dieses Haus für uns zu viel. Es gab auch viel zu viel Arbeit. Ich hatte keine Lust mehr zu "gärtele". Haus und Garten geben deutlich mehr zu tun als eine Wohnung. Ich fühlte mich so gestresst und das war keine gute Voraussetzung für meine und für unsere Zukunft. Zudem wollte ich vermehrt in meinem neuen Beruf als Supervisorin arbeiten. Ich habe bis 68 gearbeitet, weil mir meine Arbeit mit Menschen sehr gefiel.» Ich spüre ein leises Bedauern.
«Und da wir ausserdem gerne Konzerte besuchen und kulturell noch einiges erleben wollten, beschlossen wir, in die Stadt zu ziehen. Wir haben es noch nie bereut, hier in der Matte zu leben.» Lisbeth strahlt und ihre Augen funkeln. «An dem Tag, als wie hier einzogen, starb mein Vater. Es war tatsächlich wie ein Neubeginn», sagt sie nachdenklich. «Und jetzt bleiben wir in der Matte, bis wir gehen müssen», fügt sie nachdrücklich an.
«Was sind denn eure Wünsche für die Matte?»
«Mein grösster Wunsch wäre es, wenn die Buslinie 30 auch am Tag Wirklichkeit werden würde.
Lisbeth hat sich gut darüber informiert: Schade, dass eine 100 jährige Traditionen mehr Gewicht hat, als die Bedürfnisse unserer Zeit. Vor 100 Jahren nämlich wurde mit dem Matte-Lift und dem Marzili ein Pakt geschlossen, dass diese die einzigen öffentlichen Verkehrsmittel in der Matte und im Marzili sein sollen. Es können eben nicht alle auf den Lift und je älter man wird, ist es komplizierter in die Stadt zu kommen. Klar, der Matte-Lift ist schon in Ordnung. Immerhin können wir so die Höhenmeter überwinden. Aber auf die Dauer ist das doch keine ausreichende Lösung für die Matte», sagt sie dezidiert.
«Wir haben nicht den Wunsch, dass der Bus alle 20 Minuten fährt - aber alle halbe Stunde wäre schon super ...», ergänzt Toni. «Es würde schon reichen, wenn ein Rundkurs durch die Matte fahren würde: Altenberg, Matte, Marzili. Aber eben, manchmal braucht halt alles seine Zeit. Wer weiss, vielleicht erleben wir den Tagesbus ja noch.»
«Was gefällt euch in der Matte?»
«Die Aare, auf das Hochwasser können wir allerdings gut verzichten. Wir schätzen die Ruhe. Am Anfang dachten wir, dass wir nicht lange hier bleiben, denn der Lärm nahm zeitweise überhand. Jetzt sind wir froh, dass wir geblieben sind, jetzt ist es viel ruhiger und angenehmer geworden.»
Das Gespräch ist so schnell vergangen, leider ist es bereits Zeit, das lebendige und humorvolle Gespräch zu beenden. Ich packe meine Siebensachen zusammen und will aufbrechen. «Willst du nicht noch ein Bild von uns machen?», fragt Toni. «Das gehört doch auch zum Porträt», er lächelt verschmitzt. «Zuverlässig wie immer», murmelt Lisbeth. Ich bin Toni dankbar, dass er daran gedacht hat.
Wir stehen auf dem Balkon und mit einem Blick zur Altstadt hoch beende ich den Besuch bei Lisbeth und Toni Muhmenthaler.
Vielen herzlichen Dank für euere Offenheit, für den Raum, den ihr Gästen gewährt und für das wirklich schöne und spannende Gespräch.
Rosmarie Bernasconi