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oder: Nicht schreiben ist schwieriger als man denkt.
von Roswitha Menke
Ich setze mich an den Schreibtisch, drücke die «Power»-Taste, räume, während der Rechner hochfährt, Papiere zur Seite und zünde das Kerzlein an. Ich will schreiben. Endlich die entscheidende Szene noch einmal ganz neu schreiben. Ganz anders.
Natürlich checke ich erst mal mein Outlook. Beantworte zwei, drei Nachrichten. Noch ein Telefongespräch. Ist im Web-Mail auch noch eine Nachricht gekommen?
Also. Jetzt kann ich schreiben. Aber erst noch einmal Start/Programme/Spiele/Freecell.
«Ich habe diese Zeit nur überstanden, weil ich geschrieben habe», bilanziert die Kollegin eine schwere Phase in ihrem Leben. Und meine schweren Phasen? Zugfahrten ohne vom Notizbuch aufzusehen. Ferien am Pool mit nie abgesendeten Briefen an K. Gedichte auf Fahrkartenrückseiten. Auch ich kann nur schreibend überstehen.
Also. Darum schreibe ich jetzt. Aber erst noch einmal Start/Programme/Spiele/Hearts.
Es ist doch immer wieder dasselbe! Dabei sollte ich es nicht nur besser wissen, sondern auch besser können. Schließlich habe ich viel Geld in eine Ausbildung in Kreatives Schreiben gesteckt. Und Energie. Und Gehirnschmalz. Ich lehre sogar Schreiben. Ich habe veröffentlicht. Wer meinen Namen googelt, findet zehntausende Wörter.
Vor meinem Fenster klappert der Briefträger an den Kästen. Ich geh’ mal schnell …
Der offizielle Anzeiger mit Kulturagenda. Oh ja, ich könnte ja am Samstag ins, ach nein, da bin ich am Workshop, den muss ich noch bezahlen, am besten sofort. Marco Fu ist bei den Snooker China Open rausgeflogen, sagt eurosport.yahoo. Und jetzt möchte noch ein Kunde Textänderungen bis zum Mittag. Die mach ich schnell. Dann beginne ich endlich mit der entscheidenden Szene.
Also. Ich fange jetzt an. Nur noch einmal Start/Programme/Spiele/Solitaire.
Vielleicht sollte ich mal eine Liste schreiben mit allen Dingen, die ich instrumentalisiere, um mich abzulenken. Denn es sind ja nicht die Dinge, die mich ablenken, sondern es ist die Tatsache, dass ich es ihnen erlaube. Oder versuche ich, noch weiter hinter die Dinge zu schauen? Warum schreibe ich nicht, wenn ich schreiben will? Vielleicht will ich ja gar nicht.
O je. Start/Programme/Spiele/Minesweeper?
Zehntausende meiner Wörter im Netz. Wahrscheinlich ein paar Hunderttausend hier auf dem Rechner. Alle selbst geschrieben und die meisten so angeordnet, dass sie einen Sinn ergeben, einen Leserhythmus haben, einen Inhalt vermitteln, mehr oder weniger Lesespaß bereiten. Kurz: Zumindest handwerklich brauchbar gemacht. Vielleicht sogar gut. Wie habe ich das hingekriegt?
Mennnooo! Start/Programme/Spiele?
Schreiben tut gut, wenn ich mich schreiben lasse. Noch besser als spazieren gehen, Fitness, saunieren, singen, blödeln, Musik hören, malen, kochen, essen, reden. Ein Kaffee wäre gut.
Ein Kaffee wäre gut. Und n Keks. Kekse sind alle.
Der Zug fährt vorbei. Ich schaue zu. Warte, dass er meine Gedanken stört. Er tut es nicht. Meine Gedanken laufen zielsicher auf einen Punkt zu. Die Suche nach Ablenkung strengt auf einmal an. Wäsche waschen ist morgen, die Wohnung ist aufgeräumt, die Blumen sind gegossen.
Ich könnte noch eine CD einlegen, ein Cluster aufs Papier werfen, ein MindMap malen, ein Haiku zur Unlust dichten.
Ich könnte einfach anfangen.
Also.
Los.
Roswitha Menke ist selbstständige Texterin und lebt in Bümpliz.
Infos auf www.textwear.ch