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Wir treffen uns im Buchladen zwischen zwei Lifteinsätzen. Mit einem Lächeln nimmt Christine Gerber, das Liftgrosi, im roten Sessel Platz.
«Wer bist du?»
«Ich bin am 9. Oktober 1959 geboren, habe zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter und 5 Enkelkinder und war alleinerziehende Mutter», betont sie.
«Wieso alleinerziehend?»,frage ich nach
«Mein Ex-Mann war schon früh weg und hatte andere Interessen. Ich war damals 26 Jahre alt. Und jetzt bin ich schon mehr als ein Jahr pensioniert. Mit 18 habe ich die Hebammenausbildung gemacht und so arbeitete ich bis zu meiner Schwangerschaft als Hebamme. Früher musstest du nicht zuerst die Ausbildung zur Pflegefachfrau absolvieren, sondern konntest direkt mit der Ausbildung zur Hebamme beginnen. Das würde heute nicht mehr gehen. Die Frau gehört an den Herd und zu den Kindern. Mein Mann wollte nicht, dass ich arbeite. Doch nach einem halben Jahr habe ich mich durchgesetzt. Ich bekam sofort eine Stelle bei einem Frauenarzt und habe Ultraschalluntersuchungen gemacht. Bei der zweiten Schwangerschaft habe ich bis kurz vor der Geburt gearbeitet. Ich konnte das Neugeborene zum Stillen jeweils in die Praxis mitnehmen. Zudem war ich in der glücklichen Lage, dass meine Mutter auf die Kinder auf- passte. Zurück go hebammele konnte und wollte ich nicht mehr, denn dann hätte ich eine weitere Ausbildung machen müssen und ich musste Geld verdienen. Ich hatte eine langjährige Stelle bei einem Frauenarzt, dieser über gab die Praxis später seinem Nachfolger. Ich blieb weitere vier Jahre in einer gynäkologischen Praxis und entschied mich dann bis zu meiner Pensionierung bei Medphone Bern zu arbeiten. Dies war eine vielseitige Arbeit, die mir gefallen hat. Da habe ich Doris Blum, die Frau vom ehemaligen Chefkondukteur vom Mattelift, Hanspeter Blum kennengelernt.»
«Was war der Grund, dass du Liftgirl werden wolltest?»
«Für mich war es irgendwann keine Option mehr, weiter im medizinischen Bereich zu arbeiten und so viel Verantwortung wollte ich auch nicht mehr tragen. Ich schrieb eine Spontanbewerbung an die Verantwortlichen vom Mattelift, denn ich wollte auch nach meiner Pensionierung noch etwas machen und schon als kleiner Knopf war es eine Vision von mir, dass ich irgendwann beim Mattelift arbeiten werde. Ich hätte auch Maronibraterin werden können, dies hätte mir ebenfalls ganz gut gefallen. Die Begegnungen mit Menschen sind mir wichtig und wo kannst du das besser als beim Mattelift oder eben als Maronibraterin.»
Ich muss lächeln und sie überrascht mit ihrer Originalität und ihre Spontanität.
«Wem kam es in den Sinn, dich Liftgrosi zu taufen?»
Wie aus der Pistole geschossen erklärt sie mir, dass sie halt doch kein Girl mehr sei, sondern eben das Liftgrosi.
«Wie ging es weiter nach deiner Spontanbewerbung?»
«Sie haben mir zurückgeschrieben, dass im Moment nichts frei sei, aber als dann der Kollege Matti gekündigt hat, bekam ich den Job.»
«Was gefällt dir am Mattelift?»
«Ich brauche kein TV, denn ich habe so viele Begegnungen pro Tag. Geschichten und Gespräche, die mir völlig reichen. Es sind auch viele schöne Begegnungen.»
«Was hat dich besonders berührt?»
Als ich erfahren habe, dass Anna-Louise Hiller, (5. Juli 1933 – 3. September 2024). gestorben ist. Dies hat mich sehr berührt. Sie war immer so nett mit einem fröhlichen Lächeln und sehr lieb. Manchmal habe ich ihr auch die Kommissionen nach Hause getragen und sie war dankbar dafür.»
«Gibt es auch Menschen, die dich nerven?»
«Ja, wenn sie nicht grüssen, denn so viel Zeit muss, sein», sagt sie bestimmt.
«Früher sind die Liftboys jeweils mit dem Lift mitgefahren, könntest du dir das vorstellen?»
Christine schaut mich an und scheint froh zu sein, dass sie nicht mitfahren muss. «Nicht wegen den Menschen, aber mit dem ganzen Handling reichen die 30 Sekunden nicht. Mit Kreditkarte, Libero, Twint, etc. da gibt es doch noch einiges zu tun. Und so habe ich auch mehr Zeit mit den Leuten zu reden, während sie auf den Lift warten. Für mich ist das gut so und so entstehen manch schöne Begegnungen.»
«Wie empfindest du dich als Teammitglied?»
«Ich bin in das Team gekommen und alle haben mich willkommen geheissen. Ich gehörte von Anfang dazu. Das war wirklich toll. Die älteren Damen aus der Matte fanden, dass es nun mit zwei Frauen beim Lift reicht. Aber es gibt natürlich auch Männer, die flirten wollen.» Sie schmunzelt und wieder schaut sie mich schelmisch an.
«Was hat dich am meisten gefreut, seit du beim Lift bist?»
«Das ehemalige Patientinnen und Patienten extra wegen mir zum Lift kommen. Diese haben mein Interview im Anzeiger rund um Bern gelesen. Auch mein ehemaliger Lehrer, Ruedi Krebs, besucht mich ab und zu beim Lift. Er wurde ein richtiger Matteliftfan»
Christine hat kein Auto dafür ein Dreiradlastenvelo. «Dies ist für mich ideal, so kann ich meine Grosskinder transportieren, Einkäufe einladen, aber auch meinen Hund ausführen.» Praktisch muss es sein, für das unkomplizierte und unkonventionelle Liftgrosi ist es das ideale Gefährt.
«Was bist du noch nicht gefragt worden?»
Sie überlegt. «Vielleicht lasse ich den Leuten keine Luft, dann können sie nichts fragen»,
sagt sie und schaut mich mit ihren dunklen Augen wieder schmunzelnd an.
«Was würdest du dir als Verbesserung beim Lift wünschen?
«Ein schöneres Häuschen», sagt sie, ohne lange zu überlegen. «Es wäre noch kuul, wenn man ein mobiles Häuschen haben könnte, das man am Abend aufräumt und im Raum neben dem Lift versorgen könnte. So wäre auch die Denk- malpflege zufrieden.»
«Was magst du an deinen Kollegen und deiner Kollegin?»
«Ich kann mit allen etwas reden, mit Maja führe ich Frauengespräche, mit Giovanni rede ich manchmal Italienisch, (Christine spricht vier Sprachen) mit Jürg über Theater … Ich habe mit jedem einen Berührungspunkt.»
«Was sind deine Stärken?»
«Menschen nehmen, wie sie sind, auch wenn es nicht immer nur einfach ist.»
«Was magst du nicht?»
«Intoleranz und ich habe mich noch nicht dar an gewöhnt, dass ich pensioniert bin, deshalb finde ich den Job hier als Liftgrosi wirklich gut. Ich bin am richtigen Ort gelandet. Ich kann mit einer schlechten Laune zum Lift kommen, doch kaum bin ich da, ist die schlechte Laune wie verflogen. Ich komme gerne zum Lift und es macht mir Spass …»
Vielen herzlichen Dank Christine für das kurzweilige, humorvolle und ernste Gespräch.
Text: Rosmarie Bernasconi, Bild: Nicole Stadelmann