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Eine Geschichte von Regine Frei
Schon als wir vor Jahren während eines Spaziergangs zum ersten Mal am Ländtetor vorbeikamen, faszinierte mich dieser geschichtsträchtige Ort. Dass man ihn von der Mattenenge her zwar sehen, aber nicht komplett einsehen konnte, brachte mich auf die Idee, ihn eines Tages als Tatort für einen Krimi zu verwenden. Da mir die Matte mit der Nydeggtreppe bereits für “Alte Freunde” einen Tatort geliefert hatte, mussten meine nächsten Kriminalromane jedoch in anderen Teilen der Stadt spielen, bevor ich zurück ins Mattequartier kommen konnte.
Ende 2022 war es dann so weit. Ich beschloss, das Ländtetor in meine neue Geschichte einzubeziehen. Es stand bereits fest, dass der Tierpark Bern und eine Wohnung am Dalmaziquai Teil der Geschichte sein würden, und so fügte sich die Matte perfekt in meinen Plot ein. Ich erfand einen Jogger, der jeden Morgen am Dalmaziquai startete, seine Runde drehte und irgendwann zwischen halb sieben und sieben Uhr am Ländtetor eine Pause einlegte. Ihn dort zu überfallen konnte jeder planen, der die Gewohnheiten des Mannes kannte.
Während ich mir Gedanken zum Ablauf des Zusammentreffens zwischen Täter und Opfer machte, ging ich natürlich immer wieder zum Tatort. Mal war ich vormittags, dann am späteren Nachmittag dort und traf auf verschiedene Menschen. Jugendliche und Erwachsene, einige Mütter mit Kindern oder eine Gruppe von Touristen, denen die Geschichte des Ländtetors und des Untertorturms erzählt wurde. Ich beobachtete, sah mir an, was an Unrat auf dem Boden lag, und plante meinen fiktiven Mord. Die Schmierereien an der Wand, verkohltes Holz und Bierdosen am Boden waren für mich Anzeichen dafür, dass der Platz auch abends und in der Nacht genutzt wurde.
Die Geschichte nahm Gestalt an und ich begann zu schreiben. Natürlich bat ich auch meinen Kontakt beim Kriminaltechnischen Dienst um Rat. Was musste ich beachten, wenn ich hier die Arbeit der Polizei beschrieb? Wir kamen überein, die Sache vor Ort anzuschauen. Es erwies sich als schwierig, einen Termin zu finden und so wurde es Mitte September, bis wir uns treffen und die Details besprechen konnten.
Erstaunt stellte ich fest, dass sich das Ländtetor während des Sommers verändert hatte. Während ich geschrieben und anderenorts recherchiert hatte, waren die Schmierereien entfernt und die Wände gestrichen worden. Als wir nach einem langen, interessanten Gespräch wieder aufbrachen, fiel dem Fachmann für Spurensicherung das Gittertor auf, welches zu beiden Seiten des Eingangs zurückgeschoben war. Jetzt, da der Ort sauber und aufgeräumt war, machte es plötzlich Sinn! War das Ländtetor nachts etwa abgeschlossen und wenn ja, wann?
Böses ahnend läutete ich an einer der Wohnungen oberhalb des Tors. Ein älterer Mann öffnete und gab mir gerne Auskunft. Ja, das Gitter werde abends regelmässig geschlossen und erst am späteren Morgen wieder geöffnet. Ich bedankte mich für die Auskunft und ging zurück auf die Strasse.
Mein Plot war geplatzt! Dass jemand hier regelmässig frühmorgens eine Pause einlegte, war nicht mehr möglich. Schweren Herzens musste ich mich vom Ländtetor als Tatort verabschieden. Andererseits hatte ich schon so viel geschrieben, dass ich den Jogger und seine Runde durch die Matte nicht mehr ändern konnte, ohne die ganze Geschichte über den Haufen zu werfen.
Zum Glück hatte ich jahrelang im ehemaligen Gesundheitszentrum Dinamo an der Wasserwerkgasse trainiert und erinnerte mich an einen Zugang zur Aare, wo ich immer wieder Leute gesehen hatte. Kurz entschlossen nahm ich das kleine Tor dort in Augenschein, versuchte mir das Zusammentreffen von Täter und Opfer vorzustellen und befand den schmalen Grünstreifen zwischen Schleuse und Aare als geeignet. Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause, wo ich während der nächsten Tage die relevanten Kapitel umschrieb.
Es blieb also dabei: der Tatort in “Ein neues Leben” befindet sich in der Matte.
Buchinformationen: 316 Seiten
ISBN ISBN 978-3-906860-34-3, erscheint Ende Mai und ist in Buchhandlungen und im Verlag Einfach Lesen erhältlich.